Violator

1990 - für Depeche Mode kein Jahr wie jedes andere. Denn aus verschiedenen Gründen ist dieses Jahr für Dave Gahan, Martin Gore, Andy Fletcher und Alan Wilder etwas ganz besonderes. Zum einen markiert es sowohl den Start in ein neues Jahrzehnt wie auch den Beginn eines neuen Karriereabschnittes der Band. Und zum anderen ist es das "Jubiläumsjahr" von Depeche Mode: 10 Jahre Depeche Mode - das ist die Geschichte einer Erfolgskarriere und ein Stück der musikalischen Geschichte der 80er Jahre zugleich. Wie kaum eine andere Band prägte das Quartett aus London das zurückliegende Jahrzehnt, ist quasi ein Pseudonym für die Entwicklung geworden, die die Synthesizer-Musik in den 80er Jahren vollzog - und die die Band vom Beginn ihrer Karriere an in entscheidendem Maße mitgestaltete.

Den innovativen Umgang mit Drumcomputern, Fairlights und anderem Elektro-Equipment beherrschte die Band von Anfang an. Zusammen mit Avantgarde-Spürnase Daniel Miller machte sie schon das erste Album "Speak & Spell" zu einem Meilenstein ästhetischen, zeitgemäßen Pops. In der Folgezeit verließ Komponist Vince Clarke die Band, doch statt des prophezeiten Karriereknicks etablierten sich Depeche Mode als führende Elektro-Band der 80er Jahre. Das nächste Album "A Broken Frame", das erste ohne Vince Clarke, brachte dann alle Zweifler zum Schweigen. Die herbstliche, melancholische Stimmung des Albums und der beiden Singles "Leave In Silence" und "The Meaning Of Love" markierte einen ersten stilistischen Wechsel und ein Highlight ihres Schaffens zugleich. Mehr und mehr vollzog die Gruppe eine Umorientierung von leichtfüßen zu schwergewichtigen Klängen, blieb jedoch auf weltweiten Erfolg programmiert.

"Construction Time Again" mit der Hitsingle "Everything Counts" brachte Depeche Mode Ruhm und Anerkennung von allen Seiten. Musikalische und kreative Herausforderungen scheute das Quartett zu keinem Zeitpunkt. Der beste Beweis dafür: Das 1984 erschienene Album "Some Great Reward" mit den Single-Klassikern "People Are People" und "Master And Servant", die mit rauhem Arrangements und harten Maschinenrhytmen eine erst wesentlich später einsetzende Entwicklung vorwegnahmen. Das briliante "Black Celebration" Album erschien im März 1986; "Music For The Masses" dann, veröffentlicht 1987, wurde zum Erfolgsmotto der Band. Denn für ihre vier letzten Studioalben in Reihenfolge erntete die Band nicht nur in der Bundesrepublik, sondern jeweils weltweit Goldene Schallplatten.

1988 folgte ein weiteres Kapitel in der Bandgeschichte, das zum grandiosen Karrierehöhepunkt werden sollte: die Welttour mit mehr als 100 Auftritten und dem legendären Abschlußkonzert in der Pasadena "Rose Bowl". Dokumentiert wurde dieses Konzert als Doppel-Live-LP und Kinofilm mit dem Titel "101" - es war das 101. und letzte Konzert der Tournee. Als Nachlese des Amerika-Aufenthaltes komponierte die Band die Hitsingle "Personal Jesus", die sich mit den fragwürdigen Praktiken amerikanischer Fernsehprediger beschäftigte.

"Violator", das neue Studioalbum, weltweit veröffentlicht am 19. März 1990, zeigt die Band jetzt auf dem bisherigen Höhepunkt ihrer Kreativität - ein Schmelztiegel, in dem sich die verschiedensten musikalischen Zutaten zu einem gehaltvollen 47-Minuten-Menü vereinen. "Violator" bringt vertraute, melodische Songs wie den aktuellen Chart-Knüller "Enjoy The Silence", der mit seinen ätherisch-klaren Keyboard-Linien in ein tiefblaues Klangmeer entführt, aber auch Titel wie "Personal Jesus", "Policy Of Truth" oder "The Sweetest Perfection", die eine neue musikalische Richtung angeben. Mit erdigen Gitarrenklängen und kantigen Rhythmen kreieren Depeche Mode hier eine neue musikalische Gattung: den Elektro-Blues. "Waiting For The Night" ist eine sparsam arrangierte Ballade, die ihre Spannung aus dem Gegensatz von kühlen Keyboards und einer warmen Oboe bezieht, "Clean" schließlich ist ein kakophones Stück Avantgarde. "Violator", das ist das erste großartige Pop-Album des neuen Jahrzehntes. Zum Bandjubiläum macht die Band damit sich selbst und ihren Fans ein brilliantes Geschenk.

(Quelle: Intercord Presse Info 3/90 zum Release)